Malzfabrik 2015

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Texte zu meiner Kunst

 

Zufall und Kalkül

 

Gedanken zu den Arbeiten von Andreas Dittrich anlässlich der Ausstellungseröffnung am 18.5.2014, Altes Stadtbad Steglitz

Von Detlef Schönewald

 

Ich weiß nicht, ob man so weit gehen kann, zu behaupten, das Wesen des Kunstwerks sei ein dialektisches Verhältnis von Zufall und Kalkül, Willkür und Berechnung, Chaos und Ordnung. Was natürlich, wie selbstverständlich daherkommt, erweist sich bei näherer Betrachtung durchaus als Ergebnis sorgfältiger und umsichtiger Planung, wenn nicht gar als berechnendes Kalkül, ja sogar als technisch artifizieller Trick, um eine Natur aus zweiter Hand im Kunstwerk zu erschaffen. Umgekehrt bringt der Zufall scheinbar absichtslose Strukturen hervor, die einer rationalen Ordnung gehorchen, einer Ordnung, die unbewusst dem Material oder dem Schaffensprozess innewohnt und die durch den künstlerischen Prozess zum Vorschein kommt.

Andreas Dittrich spielt mit Materialien, gesuchten und gefundenen. Er prüft deren Ausdrucksqualitäten, stellt assoziative Verknüpfungen her, schafft zufällige Ordnungen, die wiederum rationaler Durchdringung entspringen. Zerrissene Klebebänder, Holzklötzchen und Küchenkrepp, Banalitäten des Alltags, werden zur Inspirationsquelle, aber auch Hochwertiges, wie z. B. Acrylglas. Die unterschiedlichen Texturen, visuellen und haptischen Qualitäten nutzt er zu einem Spiel der Kontraste, zu wechselseitiger Steigerung ihrer Wirkung. Im Gestaltungsprozess entsteht allmählich eine Ordnung, deren musikalischer Charakter offensichtlich ist. Streifen gruppieren sich zu Rhythmen. Übergänge von lockeren Fügungen zu Verdichtungen formulieren Crescendi, leiten zu Kristallisationspunkten, die dem Auge des Betrachters Halt und Orientierung geben. Nicht unwesentlich spielt die Farbe mit. Harte Kontraste, Mischungen, Farbe gesprüht oder mit dem Pinsel spontan aufgetragen, irisierende Flächen und konturierende Linien bringen die emotionale Wirkung der Farbe zum klingen.

Es bleibt nicht aus, dass der Betrachter Gegenständliches assoziiert. Arbeiten wie "Ouvertüre zu Quadrat", die als Strecke am Boden liegen, regen an, narrative Strukturen zu entdecken. Geschichten will Andreas Dittrich aber nicht erzählen, ebenso wenig wie eine Fuge in der Musik. Das Spiel mit Themen und Motiven läuft nach eigenen, rein ästhetischen Kriterien ab, schafft eine "tönend bewegte Form", wie Eduard Hanslick, der bedeutende Wiener Musiktheoretiker des 19. Jahrhunderts, das Wesen der Musik definiert hat. In der Tat, die Bodenarbeit lässt sich unschwer als grafische Partitur einer Fuge lesen: Die schwarzen, horizontal angeordneten Holzklötze repräsentieren ein Thema, das durchgespielt wird, das auf wechselnden Untergründen kontrapunktisch immer neu beleuchtet wird. Man muss die Bahn abschreiten. Bewegung kommt ins Spiel, so wie auch Musik nur als Verlauf in der Zeit erlebt werden kann.

"Der Fläche Raum geben", so der Titel der Ausstellung, heißt ja, aus der Zweidimensionalität ins Dreidimensionale überzugehen. Aus der Kunstgeschichte sind uns die fließenden Übergänge vom Bild zum Relief zur Skulptur geläufig. Denken wir nur einmal an Ghibertis großartige Bronzetüren des Baptisteriums von Florenz oder an die monumentalen Bildcollagen von Anselm Kiefer.

Andreas Dittrich stellt sich dieser Aufgabe und findet seine eigene Form. Ungewöhnlich zum Einen die Anordnung am Boden, die dem Betrachter eine Art Vogelperspektive aufzwingt, zum Anderen die Verwendung von Acrylglas, dessen Transparenz besondere Effekte ermöglicht: durchsichtig und abgrenzend zugleich, Räume definierend, ohne definitiv zu wirken, so dass der Betrachter die angedeutete Räumlichkeit in seiner Fantasie fortsetzen bzw. vervollständigen kann. Der Blick von oben auf das Objekt gewährt aber auch schräge Durchblicke, die Überlagerungen von Formen und Farben, Spiele von Licht und Schatten bewirken. Kubische Anordnungen von Acrylplatten gruppieren sich mal locker in offenen Formationen, verdichten sich mal zu Zentren und können Assoziationen an Stadtlandschaften, an urbane Strukturen wecken, die vom Künstler aber nicht intendiert sind.

Die Wirkung der ausgestellten Objekte hängt ganz wesentlich von den Ausstellungsräumen ab. Hier kommt eine Komponente zum Tragen, die schwer kalkulierbar ist. Die Räume geben Bedingungen vor, zeigen ihren eigenen Charakter. Beschädigungen der Wände, vielfältige Spuren der früheren Nutzung spiegeln die Geschichte des Ortes wieder und prägen ein Ambiente, das einen spannenden Dialog mit den ausgestellten Objekten eröffnet: Altes und Neues stoßen aufeinander, Banales reibt sich an Artifiziellem, eine Ästhetik des Hässlichen tritt in ein dialektisches Verhältnis zu einer klaren zeitgenössischen Formensprache.

Zufall oder Kalkül? Bilden die beiden Begriffe wirklich ein Gegensatzpaar? Soll man den einen oder den anderen Begriff als grundlegend für den künstlerischen Prozess ansehen? Wohl kaum, wenn man die Arbeiten von Andreas Dittrich gesehen hat. Was oberflächlich rational strukturiert erscheint, was wie eine technisch inspirierte Formensprache anmutet, birgt das Zufällige in sich. Sowohl im Entstehungsprozess als auch in der konkreten künstlerischen Ausformung spielen Zufälle eine gleichwichtige Rolle. Die Ordnung wird aus dem Zufall geboren, wie auch der Zufall seine inhärente, nicht immer einsehbare Ordnung hat. Der Künstler ist die abwägende, koordinierende Instanz, dessen Geschmacksurteil einerseits auf Wissen und Erfahrung beruht, andererseits aber auch den nötigen Anteil an Willkür besitzt, der das Lebendige im Kunstwerk ausmacht.

 

 

 

 

 

Rückblick

 

1988 schrieb Prof. Jörn Merkert anlässlich des Dorothea von Stetten Kunstpreises:

 

Jede Ausformung konstruktiv-konzeptioneller Kunst ist seit längerem auf der zeitgenössischen Szene - ganz allgemein und besonders in der Kunst - von wenig zentraler Bedeutung. Auch "Neo-Geo" scheint eher den altbekannten Marktmechanismus zu illustrieren, nach dem die Mode einen Wechsel braucht, statt dass sich darin ein betontes, womöglich gar ein gesellschaftlich notwendiges Interesse bekundet. Außerdem kann man der Meinung sein, dass die Spannbreite des visuellen Gestaltungsreichtums konstruktiver Kunst überhaupt in ihrer historischen Entwicklung überschaubarer ausgeschritten sei, als in anderen Stilrichtungen - zumindest, solange sich der Konstruktivismus eines Kanons strenger Regularität ohne die Handschrift des Individuellen bedient; als ob nichts "Neues", keine bereichernden, erweiternden, überzeugenden Setzungen noch zu erwarten stünden.

Um so überraschender, auch mutiger, selbstbewusster mag es da erscheinen, wenn ein junger Künstler, der gerade die Hochschule verlassen hat, schon während seiner Ausbildung genau diesen Weg beschreitet. Andreas Dittrich hat während des Studiums bei Johannes Geccelli in Berlin auf ganz verschiedenen Wegen, auch auf Irrwegen, im Grundsatz lediglich das Feld seines Tuns abgesteckt und ist seit einiger Zeit mit großer Konsequenz dabei, die Möglichkeiten seines bildnerischen Systems in aller Offenheit nach allen Richtungen auszuloten.

Diese Unbeirrbarkeit seiner Suche, die sich nicht von den schnellen und oft kurzen Erfolgen auf dem Gebiet expressiver Figuration, wie sie der Zeitgeist immer noch verführerisch nahelegt, irritieren lässt, macht den Ernst anschaulich, mit dem Andreas Dittrich, überzeugt von seiner Sache, seinen Weg weiter ausbaut. Ebenso gehört dazu, dass er selbstkritisch schnellen, einfachen Lösungen misstraut, die ja vor allem eine Systematik der Formensprache manchmal glaubwürdig erscheinen lässt. Gerade die wie grammatikalische Gesetzmäßigkeit der Mittel, die er zu unbekannten Formulierungen durchkalkuliert, birgt in sich ja die doppelte Gefahr, entweder - unter dem Stichwort "einfach" - zu billigen Lösungen zu kommen, oder aber sich in der Komplexität unüberschaubar vielfältiger Möglichkeiten zu verlieren.

Um so hartnäckiger bemüht er sich um die überschaubare, stringente Formulierung, die einfach genug ist, um die innere Notwendigkeit und bildnerische Logik der einzelnen Schritte und Eingriffe einsichtig zu machen, aus der sich aber gleichzeitig eine wie spielerisch gewonnene Fülle unterschiedlichster visueller und raumplastischer Konstellationen seiner "Farb-Konzeptionen" ergibt. (...)

Dittrich geht es nicht um Verstörung der Wahrnehmung, sondern um Schärfung, Präzisierung des Sehens. Im Legen, Stellen, Reihen, An- und Auseinanderlegen der Einzelteile, oder in ihrer Ordnung zu Raumgruppierungen wird nicht die Wahrnehmung des Betrachters irritiert, sondern seine Erkenntnisfähigkeit des Verschiedenen im Selben stimuliert. Nicht die Ausbreitung eines Musters ist das Ergebnis, sondern verschiedene, klare geometrische Strukturen sind der Ausgangspunkt, die sich im Miteinander der Verwandlung öffnen, ohne ihre Unverwechelbarkeit aufzugeben. Mit in Form und Farbe festgelegten Regeln schließen sich die "Farb-Raum-Konzeptionen" zum statischen Konstrukt und öffnen sich zugleich der vielfältigen Veränderlichkeit. Auf verschwiegene Weise werden darin Vorgänge anschaulich, die an naturhafte Wachstumsprozesse erinnern. In der verwirrend klaren Regularität von Farbe und Form im Raum bildet sich ein Spannungsfeld, in dem das Entstehen des einen aus dem anderen ebenso deutlich wird, wie die Veränderung im Unbeweglichen oder die Einheit von Gegensätzlichkeiten.

 

 

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